Sozialrecht

Mehrbedarf für private Haftpflichtversicherung

 

Folgenden Fall hatte das BSG zu entscheiden:

 

Der Kläger machte gegenüber der Beklagten einen Mehrbedarf für die Kosten einer privaten Haftpflichtversicherung für Mietschäden für den Zeitraum September 2015 bis Februar 2016 geltend.


Der Kläger bezieht Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Nach dem Umzug in eine neue Wohnung beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für eine Haftpflichtversicherung bei der Beklagten. Im Mietvertrag der neu gemieteten Wohnung findet sich folgender Passus:

"Der Mieter hat vor Einzug noch eine bestehende Privathaftpflichtversicherung nachzuweisen und danach jedes Jahr unaufgefordert erneut!!!!!"

Die Beklagte bewilligte die Kosten der Unterkunft und Heizung antragsgemäß, allerdings nicht die Kosten für die Haftpflichtversicherung.

 

Das Sozialgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen.

 

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Zeil weiter.

 

Die Revision ist unbegründet, entschied nun das BSG.

 

Die Beklagte hat zu Unrecht die Übernahme der Kosten für die private Haftpflichtversicherung im Rahmen der Kosten für Unterkunft und Heizung abgelehnt.

 

Der Kläger hat mit dem Abschluss der Versicherung eine mietvertragliche Pflicht erfüllt.

 

Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind,

§ 22 SGB II. Zu den Bedarfen zählt neben dem Kaltmietzins auch die Betriebskosten nach § 2 BetrKV. Begrenzt werden die umlagefähigen Betriebskosten durch § 556 Abs. 1 BGB iVm. § 2 BetrKV.

 

Die Kosten der Haftpflichtversicherung fallen nicht unter diese Aufzählung. Zwar wird in § 2 Nr. 13 BetrKV die "Haftpflichtversicherung für das Gebäude, den Öltank und den Aufzug" aufgezählt, jedoch sind hier nur die Kosten der vom Vermieter abgeschlossenen Haftpflichtversicherung gemeint. Im vorliegenden Fall geht es aber um eine Versicherung des Klägers für Ansprüche Dritter gegen ihn selbst.

 

Allerdings gehören die Kosten für eine Haftpflichtversicherung dann zu den Kosten

der Unterkunft, wenn der Mieter auf Grund einer mietvertraglichen Vereinbarung zum Abschluss dieser verpflichtet ist und ein hinreichend enger sachlicher Zusammenhang zur Anmietung der Wohnung vorhanden ist.

Dieser Zusammenhang ist hier noch vorhanden. Mit dem Abschluss der Versicherung möchte der Vermieter im Schadensfall die Sicherheit einer Entschädigung haben.

 

Zwar ist der Vermieter durch die Mietkaution hinreichend geschützt. Ob dies durch den Abschluss einer Haftpflichtversicherung unterlaufen wird, ist eine Frage des Zivilrechts und hier in diesem Verfahren nicht zu klären.

 

Die Kosten für die Haftpflichtversicherung sind dann nicht als erstattungsfähige Ausgaben anzuerkennen, wenn sie bereits in einem anderen Bereich als erstattungsfähige Ausgaben anerkannt wurden, es mithin also nicht zu einer doppelten und damit rechtswidrigen Anrechnung kommt.

 

Die Kosten für die Haftpflichtversicherung wären dann nicht zu erstatten gewesen, wenn diese bereits bei der Berechnung des Regelbedarfs berücksichtigt wurden (BSG vom 24.11.2011 - B 14 AS 15/11 R).

 

In der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008, die diesem Zeitraum als Berechnungsgrundlage zu Grunde lag, wurden diese Kosten nicht aufgeführt.

 

Die Ausgaben wären auch dann nicht erstattungsfähig, wenn sie bereits bei der Berechnung des Einkommens berücksichtigt worden sind.

 

Grundsätzlich sind Kosten für eine private Versicherung gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Halbsatz 1 SGB II vom Einkommen abzusetzen. Aus § 11b Abs. 1 SGB II ergeben sich die Absetzbeträge und damit eine Aussage darüber, was dem Grunde nach auf Bedarfsseite als Kosten berücksichtigt werden können. Hinzu kommt, dass die oben beschriebene Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte Aufwendungen nicht bei der Bemessung des Regelbedarfs zu berücksichtigen, nicht durch die Zuordnung solcher Aufwendungen zu anderen Anspruchsgrundlagen unterlaufen werden darf. Hieraus folgt für die hier streitige Frage, dass die Kosten für eine Haftpflichtversicherung als solche keine grundsicherungsrechtlich beachtlichen Aufwendungen sind (vgl. BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 51/10 R). Im konkreten Fall werden diese Gesichtspunkte aber dadurch überlagert, dass der Kläger zum Abschluss und Nachweis der Privathaftpflichtversicherung mietvertraglich verpflichtet war und diese Verpflichtung noch einen hinreichend engen sachlichen Bezug zur Anmietung der Wohnung aufweist.

 

Weiterhin musste die mietvertragliche Regelung zum Abschluss der Haftpflichtversicherung wirksam sein (vgl. auch BSG vom 24.11.2011 - B 14 AS 15/11 R).

 

Der abgeschlossene Mietvertrag darf nicht wegen Verstoßes gegen ein Gesetz (§ 134 BGB) oder wegen Sittenwidrigkeit gemäß

§ 138 Abs 1 BGB nichtig sein und muss der Inhaltskontrolle der §§ 307ff BGB standhalten. Weiterhin darf hier kein Scheingeschäft (§ 117 BGB) vorliegen.

 

Grundsätzlich sind diese Fragen ausführliin einem Zivilgerichtsverfahren zu prüfen. Somit musste das BSG hier nur prüfen, ob die Nichtigkeit des Mietvertrages offensichtlich war. Dies war hier nicht der Fall.

 

Das BSG musste auch nicht prüfen, ob die Kosten angemessen waren. Die Berücksichtigung nur der angemessenen Unterkunftskosten setzt grundsätzlich eine wirksame Kostensenkungsaufforderung voraus (vgl. etwa BSG vom 17.9.2020 - B 4 AS 22/20 R). Dies lag hier nicht vor.

 

Mithin war die Revision zurückzuweisen.

 

(Quelle: BSG, Urteil vom 30.06.2021, Az.: B 4 AS 76/20 R)


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Reservierungsgebühr Pflegeheim


Folgenden Fall hatte der BGH zu entscheiden:

 

Der Kläger begehrt die Rückzahlung einer Reservierungsgebühr für den Platz in einem Pflegeheim.

Die inzwischen verstorbene Mutter des Klägers war zunächst in einem Alten- und Pflegeheim stationär untergebracht. Sie sollte in ein anderes Seniorenzentrum in F. umziehen. Zu diesem Zweck schloss der Kläger mit der Beklagten (Einrichtungsträgerin) einen Vertrag mit Wirkung ab 15.02.2016. Der Umzug der Mutter erfolgte am 29.02.2016.

 

Am Ende des Vertrages befindet sich folgende Regelung:

 

"Vom Vertragsbeginn bis zum Einzugstermin entrichtet die Bewohnerin/der Bewohner eine Platzgebühr gem. § 17."


Die Beklagte stellte der Mutter für den Zeitraum vom 15.02.2026 bis 28.02.20216 einen Betrag in Höhe von 1.127,84 EUR in Rechnung.

 

Der Kläger zahlte den Betrag zunächst, forderte ihn aber im Jahr 2018 mit der Begründung zurück, dass § 87 a SBG XI eine Vergütungspflicht erst ab dem tatsächlichen Einzug der Mutter bestanden habe.

 

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht (LG) hat die Klage bis auf einen Betrag in Höhe von 209,30 EUR abgewiesen. Zur Begründung führte das LG aus, dass der Anwendungsbereich des § 87a SBG XI hier nicht eröffnet wäre, weil die Mutter des Klägers bei der Postbeamtenkasse privat versichert war. Damit beziehe die Mutter keine Sozialleistungen, weshalb der Bereich des SBG XI hier nicht eröffnet sei. Die Regelung im Vertrag benachteilige die Vertragspartner auch nicht unangemessen. Das Heim habe ein Interesse an der Vermietung der Zimmer und dürfe auch für die Zeit bis zum Einzug des Bewohners eine entsprechende Gebühr verlangen, zumal auch entsprechende Investitionen in das Haus erfolgt sind.

 

Zu Unrecht, wie der BGH nun entscheiden hat.

 

Die Beklagte ist zur vollständigen Rückzahlung des Betrages verpflichtet. Der Anspruch ergibt sich aus § 812 BGB. Die in § 29 des Heimvertrages aufgenommene Regelung ist in Verbindung mit § 15 Abs. 1 S. 1 WBVG (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz) und § 87a Abs. 1 SGB XI unwirksam.

 

Entgegen der Ansicht des LG spricht der Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 WBVG nicht dagegen, den Anwendungsbereich auch auf Verbraucher auszudehnen, die Leistungen der privaten Pflegeversicherung erhalten. Denn § 15 Abs. 1 S. 1 WBVG lässt es genügen, wenn Leistungen nach dem SGB XI in Anspruch genommen werden, nicht aber, dass es sich um Leistungen der sozialen Pflegeversicherung handeln muss.  Die Mutter des Klägers hat Leistungen einer privaten Pflegepflichtversicherung im Sinne von

§ 23 SGB XI in Verbindung mit § 110 SGB XI erhalten und damit mittelbar Leistungen auf der Basis des Vierten Kapitels des

SGB XI in Anspruch genommen.

 

§ 87a SGB XI bestimmt, dass die im Gesamtheimentgelt zusammengefassten Zahlungsansprüche der Einrichtung (Pflegesatz, Entgelt für Unterkunft und Verpflegung, gesondert berechenbare Investitionskosten) für den Tag der Aufnahme des Pflege-bedürftigen in das Pflegeheim sowie für jeden weiteren Tag des Heimaufenthalts taggenau berechnet werden. Es ist daher mit

§ 87a SGB XI nicht zu vereinbaren, dass eine Gebühr für die Zeit verlangt wird, in der Bewohner noch nicht in das Heim eingezogen ist. Die Kosten für Leerstand – vor dem Einzug oder nach dem Versterben – sind in den Gesamtkosten einkalkuliert.

 

Abweichende Regelungen zwischen Pflegeheim und Heimbewohner sind gemäß § 87a Abs. 4 SGB XI unwirksam.

 

§ 15 Abs. 1 S. 1 WBVG verweist auf die Vorschriften des Achten Kapitels des SGB XI über die Vergütung der Pflegeleistungen und schließt damit die zu diesen Bestimmungen zählende Regelung des § 87a Abs. 1 SGB XI ein.

 

Wegen § 15 Abs. 1 Satz 2 WBVG ist es auch nicht möglich, abweichenden Vereinbarungen in einem Wohn- und Betreuungsvertrag den Vorrang einzuräumen.

 

Abweichende ergibt sich auch nicht aus § 87a Abs. 1 S. 5 – 7 SGB XI. Diese Sonderregelungen gelten für die vorübergehende Abwesenheit des Bewohners, wenn dieser schon im Heim tatsächlich aufgenommen wurde. Nur dann hat das Pflegeheim einen Anspruch auf das Entgelt, obwohl der Bewohner nicht im Heim ist. Dies war hier aber nicht der Fall, denn die Mutter zog erst zum 29.02.20216 in das Heim ein. Damit war die Situation nicht vergleichbar.

 

(Quelle: BGH, Urteil vom 15.07.2021, Az.: III ZR 225/20)

 

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Unfall im Homeoffice

 

Folgenden Fall hatte das BSG entschieden:

 

Der Kläger war im Homeoffice auf dem Weg vom Schafzimmer in das häusliche Arbeitszimmer auf der Treppe gestürzt und hat sich einen Brustwirbel gebrochen. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Wegeunfall mit der Begründung ab, dass der Unfallversicherungsschutz in einer Privatwohnung auf dem Weg zum Zwecke der erstmaligen Arbeitsaufnahme erst mit Erreichen des häuslichen Arbeitszimmers beginne.

 

Zu Unrecht, urteilte nun das BSG.

 

Mit Wirkung zum 18. Juni 2021 hat der Gesetzgeber den Unfallversicherungsschutz von Homeoffice neu geregelt; diesbezüglich sieht nun unter anderem § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII eine Gleichstellungsklausel von Homeoffice und der Arbeit auf der Unternehmensstätte: „Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.“

 

Der Weg vom Schlafzimmer in das häusliche Arbeitszimmer stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Arbeitsaufnahme.

 

Zwar beginnt der Versicherungsschutz erst mit Durchschreiten der Haustür. Es liegt daher hier kein Wegeunfall vor. Allerdings lag ein versicherter Betriebsweg vor. Der Kläger wollte hier mit seiner täglichen Erwerbstätigkeit beginnen. Das Hinabsteigen der Treppe war mithin unternehmensdienlich. Des Weiteren ereignete sich der Unfall zu einer Zeit, zu der der Kläger seine regelmäßig seine tägliche Arbeit beginnt.

 

(Quelle: BSG, Urteil vom 08.12.2021, Az.: B 2 U 4/21 R)


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Fortzahlung Krankengeld?

 

Folgenden Fall (verkürzt) hatte das BSG zu entscheiden:

 

Der Kläger leidet an einer Bandscheibenschädigung. Der Arzt bescheinigte ihm jeweils abschnittsweise durchgehend vom 15.10.2014 bis 05.01.2015 Arbeitsunfähigkeit (AU). Ein vereinbarter Folgetermin am 05.01.20215 kam deshalb nicht zustande, weil der Kläger von der Arztpraxis angerufen wurde und aus organisatorischen Gründen der Kläger erst am 06.01.20215 zur Unter-suchung kommen sollte. Am 06.01.2015 wurde dem Kläger vom Arzt bis voraussichtlich 24.01.2015 AU bescheinigt. Der Beklagte lehnte die Fortzahlung des Krankengeldes über den 05.01.2015 hinaus ab, weil dem Kläger nicht am 05.01.2015 die weitere AU ärztlich bescheinigt wurde.

 

Das SG wies die Klage ab, das LSG wies die Berufung des Klägers zurück. Das BSG allerdings sprach dem Kläger grundsätzlich Krankengeld ab dem 06.01.20215 zu, konnte jedoch nicht abschließend über die Dauer und das Ende des Anspruchs des Klägers entscheiden.

 

Zur Begründung führte das BSG aus, dass dem Kläger an der Unterbrechung der lückenlosen Nachweiskette des AU kein Verschulden traf.

 

Für den Anspruch auf Krankengeld ist insoweit erforderlich, dass an diesem Tag dieser Versicherungsschutz noch mit Blick auf

§ 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V fortbestand. Dies erforderte einen lückenlosen Krankengeld-Anspruch oder Krankengeld-Bezug, der nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V aF nach stRspr. des BSG auch bei fortbestehenden Dauererkrankungen erst vom Folgetag der ärztlichen AU-Feststellung an entsteht. Daher muss eine erneute ärztliche AU-Feststellung - ohne dass ein Karenztag eintritt - spätestens am letzten Tag des zuvor bescheinigten AU-Zeitraums erfolgen. Damit musste die erneute ärztliche AU-Feststellung am 05.01.2015 erfolgen, damit der Kläger ununterbrochen Krankengeld beziehen konnte.

 

Allerdings hat das BSG im Jahr 2017 entschieden, dass eine Lücke in den ärztlichen AU-Feststellungen nicht nur bei medizinischen Fehlbeurteilungen (BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr. 7, RdNr. 24 mwN), sondern auch bei nichtmedizinischen Fehlern eines Vertragsarztes im Zusammenhang mit der AU-Feststellung für den Versicherten unschädlich ist, wenn sie der betroffenen KK zuzurechnen ist. Nach dieser Rechtsprechung steht dem Krankengeld-Anspruch eine erst verspätet erfolgte ärztliche AU-Feststellung nicht entgegen, wenn

 

  1. der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um

 

     a) die ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen, und

 

     b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. –erhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeld-Anspruch           erfolgt ist,

 

      2. er an der Wahrung der Krankengeld-Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes                gehindert wurde (z.B. eine irrtümlich nicht erstellte AU-Bescheinigung), und

 

      3. er - zusätzlich - seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs            1 Nr. 5 SGB V, nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht (so BSGE 123, 134 = SozR 4-2500 § 46 Nr. 8,               RdNr. 34).

 

Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Versicherte so zu behandeln, als wenn er die ärztliche Feststellung der AU rechtszeitig erhalten hätte.

 

So ist es auch in diesem Fall. Dem Kläger hatte einen Termin für den 05.01.2015. Hätte der Kläger den Termin wahrgenommen, hätte der Arzt die erforderliche AU Bescheinigung ausgestellt und der Kläger hätte nahtlos weiter Krankengeld bezogen. Weil der Termin aber aus organisatorischen Gründen seitens des Arztes abgesagt wurde und dem Kläger praxisinterne Gründe des Arztes nicht zuzurechnen sind, musste der Kläger hier so behandelt werden, als wenn er rechtzeitig eine entsprechende AU Bescheinigung vom Arzt erhalten hätte.


(Quelle: Urteil des BSG vom 26.03.2020, Az.: B 3 KR 9/19 R)

 

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Versicherter Wegeunfall?

 

Folgenden Fall (verkürzt) hatte das Bundessozialgericht (BSG) zu entscheiden:

 

Der Kläger war bei seinen Eltern in D. gemeldet. Der Weg vom Wohnort seiner Eltern zur Arbeit beträgt ca. 2 Kilometer. In der Woche übernachtete der Kläger bei seiner Freundin in M. Der Arbeitsweg von M. aus beträgt ca. 44 Kilometer. Auf dem Weg vom M. zur Arbeitsstätte erlitt der Kläger mit seinem Pkw einen Unfall und wurde schwer verletzt. Die BG lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, dass der Arbeitsweg vom Wohnort der Freundin (44 km) im Verhältnis zum üblichen Arbeitsweg (2 km) unverhältnismäßig lang sei.

 

Das SG wies die Klage ab, das LSG gab der Berufung des Klägers statt. Zu Recht, urteilte nun das BSG. Gleichzeitig legte das BSG nunmehr die Voraussetzungen für das Anerkennen eines Arbeitsunfalls fest, wenn der Arbeitsweg vom sogenannten „dritten Ort“ beginnt.

 

Grundsätzlich ist der direkte Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück durch die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert, § 8 Abs. 1 SGB VII. Arbeitsunfälle  sind  nach  §  8 Abs  1  Satz  1  SGB  VII  Unfälle  von  Versicherten  infolge  einer  den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII). Der Kläger war als Beschäftigter gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert, und er erlitt auch einen Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII. Ferner legte der Kläger im Unfallzeitpunkten unmittelbaren Weg nach dem Ort der Tätigkeit objektiv zurück und seine Handlungstendenz war darauf auch subjektiv ausgerichtet.

 

Wenn der Arbeitnehmer aber von einem sogenannten „dritten Ort“ zur Arbeitsstelle fuhr und auf dem Weg verunfallte, lag nach bisheriger Rechtsprechung des BSG auch ein Wegeunfall vor, wenn a) sich der Arbeitnehmer mindestens 2 Stunden an diesem Ort aufgehalten hatte und b) dieser Weg im Verhältnis zum üblichen Arbeitsweg nicht unverhältnismäßig lang war.

 

Das BSG ergriff die Chance und stellte klar, dass es nunmehr ausreicht, wenn der Arbeitnehmer sich mehr als zwei Stunden an dem „dritten Ort“ aufgehalten hatte, bevor er auf direktem Weg zur Arbeit fährt. Entscheidend war, dass der Kläger „eine

konkrete, objektiv beobachtbare Verrichtung des "Sichfortbewegens" auf dem direkten Weg zum Ort der versicherten Tätigkeit auch subjektiv zu diesem Zweck durchführte. Denn er war mit der Handlungstendenz unterwegs, den Ort der versicherten Tätigkeit zu erreichen. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine konkrete Verrichtung der grundsätzlich versicherten Fortbewegung dient, ist die "objektivierte Handlungstendenz" des Versicherten, sodass das objektiv beobachtbare Handeln subjektiv - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestands der jeweils versicherten Tätigkeit ausgerichtet sein muss. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.“ Der Kläger war einzig aus dem Grund auf der Autobahn unterwegs, um von Wohnort der Freundin zum Arbeitsort in D. zu gelangen.

 

Es kommt jetzt nicht mehr darauf an, dass der Arbeitsweg vom dritten Ort nicht unverhältnismäßig länger als der übliche Arbeitsweg ist. Für diese Ungleich-behandlung ist kein Raum mehr.   

 

(Quelle: BSG, Urteil vom 30.01.2020, B 2 U 2/18 R)


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Anrechnung von Einkommen un Darlehensraten


Folgenden Fall (verkürzt) hatte das BSG zu entscheiden:

 

Die Klägerin, ihr Ehemann und der minderjährige Sohn (Kläger) lebten gemeinsam in einem Haushalt. Die Klägerin war arbeitstätig. Der Kläger bezog das Kindergeld. Die Klägerin und ihr Ehemann hatten 2011 bei der T-Bank ein Darlehen aufgenommen und zu dessen Absicherung eine Restschuldversicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit abgeschlossen. Der Ehemann wurde arbeitslos. Aus diesem Grund zahlte die Restschuldversicherung im Jahr 2015 die Darlehensraten an die Bank. Da die Bank ihrerseits aber die monatlichen Darlehensraten im Wege der Einzugsermächtigung vom Girokonto der Kläger abzog, überwies die Bank den Betrag von 722 EUR, den sie ja von der Versicherung bekam, auf das Girokonto der Kläger zurück.

 

Seit 2014 bezogen die Klägerin und ihr Ehemann Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Ende 2014 beantragten die Kläger die Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II. Die Beklagte (das zuständige Jobcenter) bewilligte für das Jahr 2015 für die Klägerin und ihren Ehemann Leistungen in Höhe von jeweils 67 EUR. Für den Kläger bewilligte die Beklagte Leistungen in Höhe von 35 EUR. Dabei rechnete die Beklagte die von der Bank rückerstatteten Darlehns-raten als Einkommen an.

 

Während des Klageverfahrens bewilligte die Rentenversicherung für den Ehemann eine Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 01.04.2014 in Höhe von monatlich 1.500 EUR und zahlte für den zurückliegenden Zeitraum – nach Abzug von Ersatzansprüchen durch die Beklagte – einen Betrag vom 28.000 EUR im Frühjahr 2016 an den Ehemann aus. Die Beklagte rechnete diese Nachzahlung in 2016 als Einkommen für 2015 an.

 

Mit der Klage begehrten die Kläger höhere Leistungen nach dem SGB II für das Jahr 2015. Nach ihrer Auffassung sind weder die Rückzahlung der einzelnen Darlehensrate noch die Nachzahlung der Rentenversicherung als Einkommen bedarfsmindernd zu berücksichtigen.

 

Zu Recht, entscheid nun das BSG.

 

Als Einkommen zu berücksichtigen sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II (alle) Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge und mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Dabei ist Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich alles das, was jemand nach der Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was die Person vor der Antragstellung bereits hatte. Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (modifizierte Zuflusstheorie, stRspr. seit BSG vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R; jüngst BSG vom 9.8.2018 - B 14 AS 20/17 R). Allerdings ist der wertmäßige Zuwachs nur dann als Einkommen zu berücksichtigen, wenn die Einnahme der leistungsberechtigten Person tatsächlich zur Deckung ihres Bedarfs - als "bereites Mittel" – zur Verfügung steht (vgl. nur BSG vom 17.2.2015 - B 14 KG 1/14 R).


Bezogen auf die Darlehensrate bedeutet das, dass die Rückbuchung der Darlehensrate durch die Bank auf das Girokonto der Kläger nicht losgelöst von der vorhergehenden Abbuchung der Rate durch die Versicherung gesehen werden kann. Dem entsprechend war ein für eine Einnahme erforderlicher Wertzuwachs auf dem Konto der Kläger nicht ersichtlich.


Auch die Nachzahlung der Rente an den Ehemann in 2016 ist nicht als Einkommen für 2015 zu berücksichtigen. Laufende Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen

(§ 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Gleiches gilt dem Grunde nach für einmalige Einnahmen gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 SGB II, wobei § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB II abweichende Regelungen für Fallkonstellationen vorsehen, in denen das einmalige Einkommen im Folgemonat bzw. in den folgenden 6 Monaten zu berücksichtigen sein kann. Demgemäß ist nachgezahltes Einkommen grundsätzlich im Zuflussmonat und nicht für die Zeit zu berücksichtigen, für die es nachgezahlt wurde. Dies wurde unter anderem auch schon für nachgezahltes Krankengeld, Übergangsgeld und eine Einkommenssteuererstattung entschieden.


(Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.08.2019, Az: B 14 AS 42/18 R)


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Tanken als Arbeitsunfall?


Folgenden Fall hatte das BSG zu entscheiden:


Die Klägerin ist bei einem Speditionsunternehmen beschäftigt. Ihr Weg zur Arbeit beträgt ca. 75 km. Als die Klägerin nach Beendigung der Arbeit nach Hause fahren wollte, zeigte die Tankanzeige eine Reichweite von 70 km an. Die Klägerin fuhr zur nächsten Tankstelle, um zu tanken. Nach Beendigung des Tankvorganges rutschte die Klägerin auf dem Weg zur Kasse auf einem Kraftstofffleck aus und zog sich eine Fraktur des rechten Sprunggelenks zu.

 

Die Beklagte lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Das SG hat die Klage abgewiesen, das LSG die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung führte das LSG aus, dass die Klägerin den grundsätzlich versicherten Rückweg durch das Tanken unterbrachen habe. Das eigenwirtschaftliche Tanken stehe nur dann in Zusammenhang mit dem Zurücklegen des versicherten Weges, wenn es unvorhersehbar notwendig werde. Das wäre z.B. dann der Fall, wenn die Klägerin wegen einer Umleitung oder unerwarteter Verkehrsbehinderungen hätte tanken müssen. Solche Umstände habe die Klägerin aber nicht vorgetragen.

 

Die Revision der Klägerin wurde vom BSG zurückgewiesen. Zu Recht sah das LSG den Unfall nicht als Arbeitsunfall an. Nach

§ 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt demnach voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität). Diese Voraussetzung war hier nicht erfüllt. Das Tanken stand nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit der Beschäftigung der Klägerin, § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII iVm. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Es lag kein versicherter Betriebsweg vor, weil zum Unfallzeitpunkt die Arbeit der Klägerin bereits beendet war. Auch bestand kein Anhaltspunkt dafür, dass der Weg (das Tanken) im betrieblichen Interesse zurückgelegt wurde. Versicherte Betriebswege solche Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, Teil der versicherten Tätigkeit sind und damit der Betriebsarbeit gleichstehen. Es stand aber auch in keinem inneren Zusammenhang mit dem Zurücklegen des versicherten unmittelbaren Weges von dem Ort der Tätigkeit, § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Der Versicherungsschutz besteht, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit - oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung - zu erreichen. Der versicherte Weg wurde hier von der Klägerin durch die dem tanken dienenden Handlungen unterbrochen. Die Unterbrechung des Weges war auch mehr als geringfügig, so dass der Versicherungsschutz nicht mehr bestand.

 

Das Auftanken des privaten Kfz der Klägerin war auch keine Instandhaltung von Arbeitsgerät, § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII. Das Tanken einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Verrichtungen ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG als rein privatwirtschaftliche Vorbereitungshandlung für das Zurücklegen des Weges grundsätzlich nicht nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII versichert. Dies gilt unabhängig davon, ob der Tankvorgang vor, während oder nach dem Zurücklegen des versicherten Weges nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII vorgenommen wird.


(Urteil des BSG vom 30.01.2020, Az: B 2 U 9/18 R)


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Erbschaft als Einkommen oder Vermögen anrechnen?

 

Obwohl es die sogenannten „Hartz IV Gesetze“ schon seit langer Zeit gibt und schon tausende Urteile ergangen sind, gibt es hin und wieder noch interessante Sachverhalte, die gerichtlich entschieden werden. Wie auch folgender Fall:

 

Mitte 2009 verstarb der Großvater der Klägerin, woraufhin diese zu 1/16 Miteigentümer eines bebauten Grundstücks wurde. Bis Ende September 2009 bezog die Klägerin Leistungen nach dem SGB II. Von Oktober 2009 bis Oktober 2010 bezog sie Arbeitslosengeld. Ab November 2010 bezog die Klägerin wieder Leistungen nach dem SGB II.

 

Aus dem Verkauf des Grundstücks floss der Klägerin im Januar 2012 ein Betrag von 5.330 EUR zu. Diesen Betrag gab sie im Rahmen des Weiterbewilligungsantrages für die Zeit ab Februar 2012 bei der Beklagten (Jobcenter) an.

 

Die Beklagte berücksichtigte das zugeflossene Geld als einmalige Einnahme und lehnte die Hilfebedürftigkeit der Klägerin ab.

 

Das Sozialgericht wies die Klage der Klägerin ab, das Landessozialgericht (LSG) gab der Klage statt. Das LSG war der Ansicht, dass die Erbschaft als Vermögen anzusehen ist, weil dieser der Klägerin vor der maßgeblichen Antragstellung im Januar 2012 zugeflossen ist.

 

Das Bundessozialgericht (BSG) wies die Revision der Beklagten zurück. Zu Recht hatte das LSG die Erbschaft nicht als Einkommen angesehen.

 

Das BSG musste die Frage klären, wie Einkommen und Vermögen im Sinne des SGB II voneinander abgegrenzt werden. Dazu bediente sich das BSG der sogenannten modifizierten Zuflusstheorie. Diese besagt, dass Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich alles das ist, was jemand nach der Antragstellung wertmäßig dazu erhält; Vermögen im Gegensatz dazu dasjenige ist, was jemand vor der Antragstellung bereits hatte. Für die Beantwortung der Frage muss weiter auf den Zeitpunkt des Zuflusses des Wertes geschaut werden. Dabei gilt der Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses, es sei denn, dass ein anderer Zeitpunkt von Rechts wegen maßgeblich ist.

 

Fraglich ist, was im Falle einer Erbschaft der relevante Zeitpunkt für die Einordnung von Einkommen oder Vermögen ist: der Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft (2009), des Verkaufs des Grundstücks oder der Auszahlung des Geldes (2012)?

 

Für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Falle einer Erbschaft kommt es daher zum einen darauf an, ob der Erbfall vor oder nach der ersten Antragstellung des laufenden Leistungsfalles eingetreten ist. Zum anderen ist im Falle der Erbschaft der wertmäßige Zuwachs aus der Erbschaft aber erst dann auf den Bedarf anzurechnen, wenn die Einnahme des Hilfsbedürftigen tatsächlich zur Deckung seines Bedarfes zu Verfügung steht.

 

Was bedeuten die vorstehenden Ausführungen konkret für diesen Fall?

 

Die Klägerin bezog bis Oktober 2009 Leistungen nach dem SGB II. In dieser Zeit fiel auch die Erbschaft an, denn der Großvater starb ja Mitte 2009. Allerdings war die Klägerin zu diesem Zeitpunkt nur Miteigentümerin des Grundstücks. Geld ist ihr mit dem Erbfall 2009 noch nicht zugeflossen.


Der Klägerin ist erst im Januar 2012 Geld aus dem Verkauf des Grundstücks tatsächlich zugeflossen.

 

Welcher Zeitpunkt zählt jetzt?

 

Das Geld ist dann als Einkommen anzurechnen, wenn Erbfall nach der ersten Antragstellung des laufenden Leistungsfalles eingetreten ist. Vermögen stellt das zugeflossene Geld dann dar, wenn der Erbfall nach der ersten Antragstellung eingetreten ist. Fallen Erbschaft und Zufluss des Geldes in einen ununterbrochenen Leistungsbezug von Leistungen nach den SGB II, dann handelt es sich um Einkommen.

 

Hier fiel die Erbschaft und der Zufluss des Geldes aus dem Verkauf des Grundstücks in verschiedene Abschnitte des Leistungsbezuges. Zum Zeitpunkt des Anfalls der Erbschaft bezog die Klägerin Leistungen nach dem SGB II. Von Oktober 2009 bis Oktober 2010 bezog die Klägerin aber Leistungen nach dem SGB II. Ab Oktober 2009 bezog die Klägerin dann aber Arbeitslosengeld (ALG) nach dem SGB III.

 

Der erneute Bezug von Leistungen nach dem SGB II ab November 2010 ist als zweiter Leistungsbezug der Klägerin zu werten. Denn der Bezug von ALG stellt für die Klägerin die Beendigung der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II dar, denn durch den Bezug von ALG nach dem SGB III gehörte die Klägerin dem SGB II System für 1 Jahr nicht mehr an.

 

Damit war der Zufluss des Geldes im Januar 2012 grundsätzlich als Vermögen zu werten. Da der Freibetrag der Klägerin über dem zugeflossenen Geld lag, kam eine Anrechnugn nicht in Betracht.

 

(Bundessozialgericht, Urteil vom 08.05.2019, B 14 AS 15/18 R)


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Lebensversicherung als Einkommen bei Hartz 4


Folgenden Fall (vereinfacht)  hatte das Bundessozialgericht (BSG) zu entscheiden:


Der Kläger und die Klägerin sind miteinander verheiratet. Sie bezogen ab Oktober 2006 Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger verfügte seit April 1991 über eine Kapitallebensversicherung, die seit 1998 beitragsfrei gestellt wurde. Im April 2008 wurde die Versicherungssumme in Höhe von 4.652,80 EUR auf das Konto des Klägers ausgezahlt. Dieser Betrag setzte sich wie folgt zusammen: Versicherungssumme: 3.267 EUR, Überschussbeteiligung: 1.341 EUR und Anteil an den Bewertungsreserven: 44,80 EUR.


Die Beklagte hob daraufhin die Bescheide für April und Mai 2008 auf und forderte von den Klägern die Rückzahlung von insgesamt 898,80 EUR. Zur Begründung führte die Beklagte an, dass es sich bei der Lebensversicherung um Einkommen handele, das auf die Leistung nach dem SGB II angerechnet wird.


Der dagegen erhobenen Klage wurde vom Sozial- und Landessozialgericht stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.


Das BSG wies die Revision der Beklagten zurück.


Zur Begründung führte es aus:

Bei der streitgegenständlichen Lebensversicherung handelte es sich um Vermögen, denn die Kläger verfügten bereits zum Zeitpunkt der ersten Antragstellung (Oktober 2006) über die Lebensversicherung. Die Lebensversicherung wird dabei mit dem jeweiligen Verkehrswert in das Vermögen der Kläger eingestellt. In einem weiteren Schritt wird dann geprüft, ob die Freibetragsgrenzen der Kläger überschritten wurden.

Bei der Ermittlung des Verkehrswertes ist die Überschussbeteiligung mitzurechnen. Fraglich war hier, zu welchem Zeitpunkt der Verkehrswert der Lebensversicherung ermittelt werden musste: zum Zeitpunkt der Antragstellung der ALG II Leistungen oder zum Zeitpunkt der Auszahlung der Versicherungssumme oder zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger die Versicherung hätte kündigen können. Des Weiteren musste die Frage geklärt werden, ob der Wertzuwachs zwischen dem Zeitpunkt der Antragstellung von ALG II im Oktober 2006 und Auszahlung der Versicherung im April 2008 als Einkommen zu werten ist. In diesem Fall brauchte der Kläger die Versicherung nicht vorher zu kündigen, so dass der Auszahlungsbetrag im April 2008 einschließlich der Überschussbeteiligung als Verkehrswert anzusetzen war. Dass sich der Wert der Versicherung zwischen Oktober 2006 (4331 EUR) und April 2008 (4608 EUR) erhöht hat, begründet nicht die Annahme von Einkommen, sondern stellt lediglich die versicherungskalkulatorischen Wertveränderungen aller Bestandteile der einheitlichen Lebensversicherung im Verlauf der Zeit dar.

Auch wurde die Vermögensfreibetragsgrenze der in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kläger nicht überschritten. Der Freibetrag des zum Zeitpunkt der Auszahlung der Versicherung 59 Jahre alten Klägers betrug 9.600 EUR (59 x 150 EUR), zuzüglich des Freibetrags für notwendige Anschaffungen in Höhe von  750 EUR. Der Freibetrag der zu diesem Zeitpunkt 50 Jahre alte Klägerin betrug 8.250 EUR (50 x 150 EUR) zuzüglich  des Freibetrags für notwendige Anschaffungen in Höhe von  750 EUR. Die Vermögensfreibetragsgrenze der Kläger lag somit zusammen bei 17.850 EUR und wurde durch die Versicherung nicht überschritten.


(Quelle: Urteil des BSG vom 10.08.2016, Az: B 14 AS 51/15 R)


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Anrechnung Elterngeld auf Hartz 4


Folgenden Fall (vereinfacht) hatte das BSG zu entscheiden:


Die miteinander verheirateten Kläger, die vier gemeinsame Kinder haben, begehren vom beklagten Jobcenter höhere Leistungen nach dem SGB II. Nach der Geburt des vierten Kindes bezog die Klägerin zu 2) Elterngeld in Höhe von 150 EUR.


Das Jobcenter kürzte daraufhin die monatlichen Leistungen für die Kläger um 120 EUR (150 EUR - 30 EUR Versicherungspauschale). Mit ihrer Klage begehren die Kläger höhere Leistungen ohne Anrechnung des Elterngeldes. Die Kläger halten die Anrechnung für verfassungswidrig. Das SG und LSG wies die Klage zurück. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Ziel weiter.


Das BSG wies die Revision zurück.


Zur Begründung führte es aus:

Gemäß § 10 Abs. 5 S. 1 BEEG wird bei Sozialleistungen nach den SGB II das Elterngeld als Einkommen angerechnet. Ausnahme: Das Elterngeld wird dann in Höhe von 300 EUR nicht angerechnet, wenn vor der Geburt Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt wurde. Das war hier nicht der Fall. Die Klägerin zu 2) erzielte vor der Geburt des 4. Kindes kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Die Klägerin zu 2) erhielt vielmehr lediglich das Mindestelterngeld in Höhe von 150 EUR. Dies musste daher auf die Leistungen nach dem SGB II angerechnet werden.


(Quelle: Urteil des BSG vom 01.12.2016, Az: B 14 AS 28/15 R)


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Mitglied in der PKV oder GKV?


Folgenden Fall (vereinfacht) hatte das BSG zu entscheiden:


Die Klägerin war zunächst pflichtversichert, ab Dezember 2004 freiwillig versichertes Mitglied bei der Beklagten, einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Zu Ende Mai 2011 kündigte die Klägerin die Mitgliedschaft bei der Beklagten und legte gleichzeitig die Bescheinigung der Deutschen Krankenversicherung AG (private Krankenversicherung [PKV]) vor, nach der für die Klägerin ab Juni 2004 Krankenversicherungsschutz bei dieser bestand. Im November 2011 erklärte die PKV wegen wahrheitswidriger Angaben der Klägerin die Anfechtung des Versicherungsvertrages, hilfsweise trat die PKV vom Versicherungsvertrag zurück. Daraufhin begehrte die Klägerin von der Beklagten (GKV), über den 31.05 2004 hinaus freiwillig versichert zu sein. Die Beklagte lehnte die Wideraufnahme der Klägerin ab. Die Klägerin habe die Mitgliedschaft wirksam gekündigt. Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für eine Pflichtmitgliedschaft nicht vor.


Das SG hat der Klage stattgegeben, auf die Berufung der Beklagten hob das LSG das Urteil auf und wies die Klage ab. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Aufhebung des Urteils des LSG.


Zu Unrecht entschied das BSG und begründete die Entscheidung wie folgt:

Die Klägerin hatte die freiwillige Mitgliedschaft wirksam innerhalb der Frist gekündigt und gleichzeitig auch innerhalb der Frist das Bestehen einer Krankenversicherung für die Folgezeit nachgewiesen. Dass die PKV später den Versicherungsvertrag angefochten hat, steht der Kündigung nicht im Weg. Als freiwilliges Mitglied konnte sich die Klägerin bei der Beklagten ab Juni 2011 auch nicht mehr versichern, weil sie die besonderen Voraussetzungen nicht erfüllte. Aber auch als Pflichtversicherte konnte die Klägerin bei der Beklagten nicht mehr versichert werden. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht ein Anspruch auf Pflichtversicherung in einer GKV, wenn die Person keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hat und zuletzt gesetzlich krankenversichert war oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert war. Die Klägerin hat hier einen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall, denn nach Kündigung des Versicherungsvertrages durch die PKV hatte die Klägerin einen Anspruch gegen die PKV auf Abschluss eines Versicherungsvertrages im sogenannten Basistarif. Die Klägerin wurde nach Anfechtung und Rückabwicklung des Versicherungsvertrages auch weiterhin dem System der PKV zugeordnet.


(Quelle: Urteil des BSG vom 29.06.2016, Az: B 12 KR 23/14 R)


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Kosten für Telefon als Umzugskosten


Folgenden Fall (vereinfacht) hatte das BSG zu entscheiden:


Der Kläger begehrt vom Beklagten Jobcenter im Rahmen eines Umzuges unter anderem die Übernahme der Kosten für einen Telefon- und Internetanschluss sowie für einen Nachsendeauftrag. Der Kläger hatte sich von seiner Ehefrau getrennt und wollte in eine andere Wohnung umziehen. Das beklagte Jobcenter bewilligte die Kosten für den Umzug, lehnte jedoch die Übernahme der Kosten für einen Telefon- und Internetanschluss sowie einen Nachsendeauftrag mit der Begründung ab, dass diese Kosten keine unmittelbaren Kosten des Umzugs seien und daher aus dem Regelsatz zu bezahlen seien.


Zu Unrecht, urteilte nun das BSG.


Die Kosten für den Telefon- und Internetanschluss sowie den Nachsendeauftrag sind im Gegensatz zur Ansicht des Jobcenters grundsätzlich Kosten des Umzugs, wenn dieser durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist. Daraus folgt, dass die Kosten dann keine Umzugskosten sind, wenn der Umzug aus irgendwelchen Gründen erfolgt.

Allerdings konnte das BSG hier den Streit nicht entscheiden, weil das LSG vergessen hatte, die Angemessenheit der Kosten für den Telefon- und Internetanschluss sowie den Nachsendeauftrag zu ermitteln. Gerade beim Telefon- und Internetanschluss besteht eine Kostenvielfalt zwischen den einzelnen Tarifen.


(Quelle: Urteil des BSG vom 10.08.2016, Az: B 14 AS 58/15 R)


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Kostenübernahme Treppenlift

 

Folgenden Fall (verkürzt) hatte das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt zu entscheiden:

 

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Erstattung von Kosten für den Einbau eines Treppenlifts in seinem Wohnhaus.

Beim Kläger ist ein Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen "B", "G", "aG" und "H", die er als Folge einer spinalen Ischämie eine spontane akute Querschnittslähmung unterhalb des Brustwirbelkörpers 12 erlitt, festgestellt worden. Der Kläger arbeitet als Reklamationsmanager bei einer auswärtigen Firma.

 

Der Kläger beantragte bei der Rentenversicherung die Übernahme der Einbaukosten des Treppenlifts. Dies lehnte der Rentenversicherungsträger mit der Begründung ab, dass der Einbau des Treppenlifts im Eigenheim mit der Berufsausübung nicht im Zusammenhang stehe.

 

Das Sozialgericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 6 SGB IX zwar auch die Kosten der Beschaffung, Ausstattung und Erhaltung einer behindertengerechten Wohnung umfasse. Voraussetzung sei allerdings, dass die Maßnahme final auf die Entwicklung oder Sicherung der Erwerbsfähigkeit ausgerichtet sei. Dies war hier nicht der Fall, da der Lift im Eigenheim des Klägers eingebaut wurde, der Kläger aber nicht von zu Hause aus arbeitet.

 

Das LSG wies die Berufung des Klägers zurück.

 

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die beantragte Übernahme der Kosten für den Einbau des Treppenlifts kann nur dann eine Leistung zur Teilhabe im Sinne des § 33 SGB IX darstellen, wenn ein ausreichender Bezug zum Arbeitsleben besteht. Dieser fehlt hier, denn der Kläger arbeitet nicht von zu Hause aus, sondern pendelte täglich zum auswärtigen Arbeitsort.

 

(Quelle: Urteil des LSG Sachsen-Anhalt vom 14.12.2017, Az: L 3 R 477/16)

 

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Sperrzeit Arbeitslosmeldung


Folgenden Fall (verkürzt) hatte das Bundessozialgericht zu entscheiden:


Der Kläger macht gegenüber der Beklagten (Agentur für Arbeit) Leistungen nach SGB III (ALG) für den Zeitraum 01.07.2017 bis 07.07.2014 geltend. Er war auf Grund eines befristeten Arbeitsvertrages von Mai 2011 bis zum 30.06.2014 bei der Beklag-ten beschäftigt. Am 30.05.2014 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitssu-chend. Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 08.07.2014. In der Zeit vom 01.07.2014 bis 07.07.2014 lehnte die Beklagte die Zah-lung von Arbeitslosengeld wegen des Eintritts einer Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitssuchendmeldung ab.


Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Diesen begründete er damit, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld durch Art. 14 GG (Eigentumsgarantie) geschützt sei und eine Sperrzeit daher rechtswidrig sei.


Das BSG urteilte zu Gunsten der Beklagten.


Gemäß § 159 Abs. 1 S. 1 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich ein Arbeitnehmer versicherungswidrig Verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Ein solches versicherungswidriges Verhalten liegt z.B. vor, wenn der Arbeitslose seiner Meldepflicht nach § 38 SGB III nicht nachgekommen ist. Inhalt dieser Pflicht ist es, dass sich der Anspruchsteller spätestens drei Monate vor Ablauf des Arbeitsvertrages bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden.

Dies hat der Kläger nicht gemacht. Er wusste, dass sein Arbeitsvertrag am 30.06.2014 ausläuft, da der Vertrag befristet war. Also war er gehalten, sich zumin-dest vor dem 31.03.2014 bei der Beklagten arbeitssuchend zu melden. Gründe für eine verspätete Meldung, z.B. Verhandlungen über eine Fortsetzung des Vertrages, hatte der Kläger nicht angeführt.


(Urteil des BSG vom 30.08.2018, Az: B 11 AL 2/18 R)


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